Grußwort von Dr. Ulrich Netzer, Oberbürgermeister der Stadt Kempten (Allgäu)


Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kunstfreundinnen und Kunstfreunde - zur Ausstellung raumzeit von Elisabeth Bader, Christian Hof, Wolfgang Mennel, Bernd Rummert, und begrüße ich Sie sehr herzlich.

Die Schau mit Plastiken, Fotografien und Bildern ist schon allein eine spannende Angelegenheit. Zudem lenkt sie unseren Blick auf die Architektur des Hofgartensaals, der seit etwa 60 Jahren als Ausstellungsraum genutzt wird. Seine ursprüngliche Funktion geht aus den Quellen zur fürstäbtlichen Residenz nicht hervor. Es könnte sich um den Kapitelsaal gehandelt haben. Benannt wurde er nach dem angrenzenden Hofgarten, der mit der Orangerie aus dem 18. Jahrhundert das schlossartige Gebäudeensemble vervollständigt.

Seit den 1950er Jahren, als die Residenz umfassend saniert wurde, kommt dem Hofgartensaal eine bedeutende Rolle im kulturellen Leben Kemptens zu. U.a. zeigt der BBK Schwaben Süd hier die Werke seiner Mitglieder, und jedes Jahr freuen wir uns auf die Kunstausstellung im Rahmen der Allgäuer Festwoche.

Wenn wir den Hofgartensaal betrachten und ihn mit der dargebotenen Kunst in Zusammenhang bringen, dann bieten die reich gegliederte Architektur und die Ornamentbänder an der Decke eine Reibungsfläche für die Kunst. Die vier Akteure dieser Ausstellung stellen sich der Herausforderung des Saales: Unser Blick geht frei über verzierte Deckenwölbungen, Stichkappen, Säulenreihen, Kapitelle, Sockelzonen und tiefe Fensterleibungen. Aber die vielfältigen Arbeiten fangen ihn immer wieder ein, es entsteht eine spannungsvolle Korrespondenz zwischen Tradition und Moderne.

Das Konzept der vier Kunstschaffenden – keine Stellwände, keine Sockel, keine Fensterabdeckungen – bringt die Werke unmittelbar in Kontakt mit der barocken Architektur. Sie ordnen sich bewusst dem Gebäude unter, die ruhige Präsentation lässt den Arbeiten viel Spiel-Raum.
So unterschiedlich die Materialien sind – Papier, Metall, Gips, Plastik, Holz, Gummi -, so ähnlich sind sich die Exponate in ihrer zurückhaltenden Farbigkeit. Es dominieren Schwarz, Weiß und Grauabstufungen, die wenigen Farbelemente – etwa bei den Fotografien rechts – schärfen den Blick für die Feinheiten. Sogar leuchtendes Pink kommt zum Einsatz, wenn auch nur in ganz geringer Dosis: Beim "Endorphinomat" von Elisabeth Bader, deren Papierarbeiten sich sonst in Pergamenttöne hüllen. Widerhaken ähnlich, schauen an einzelnen Stellen Drahtstücke hervor – eine Parallele zu den von Hand gefertigten Drahtornamenten Bernd Rummerts, die er auf dem Boden platziert hat.

Die subtilen Korrespondenzen zwischen den Werken erschließt sich uns oft erst auf den zweiten Blick. Als ein Beispiel können die organischen Formen in den hellen, fragilen Plastiken von Elisabeth Bader gelten, die in den biomorphen Installationen Bernd Rummert ein formales Echo finden. Weitere Beziehungen finden sich in der Collage aus quadratischen Elementen: Sie manifestieren sich in den Tastatur-Bildern von Christian Hof als zartes Relief, während Wolfgang Mennel in den "Pixelfeldern" seiner Fotodrucke das Viereck als strenges Gestaltungsmittel einsetzt.

Noch ein paar Worte zu den Vier gesamt.

Die Vier verstehen sich als Sozietät. Damit stehen sie in einer langen Tradition von Künstlergruppen, die sich seit Jahrhunderten in Schulen, Werkstätten, Gilden, Bünde, Verbände, Salons und Sezessionen zusammen schließen. Beim Kemptener Viererteam steht das gemeinsame Ziel im Vordergrund – und die kooperative Verantwortung.
Mennel, Rummert, Bader und Hof weben ihr Netzwerk nicht nur zwischen Süd- und Nordschwaben, sondern auch zwischen den Generationen. Drei Jahrzehnte umfasst die Zeitspanne von "raumzeit": Die ältesten Arbeiten von 1981/2 stammen von Bernd Rummert. Seine Plastik "Wirbelsäule" fand damals im Haus der Kunst einen passenden Platz unter historisch gewölbter Decke, wie das Foto neben den drei Fragmenten belegt. Unwillkürlich kommt der Gedanke an die Vergänglichkeit ins Spiel, sie kann als Referenz an das "memento mori" der barocken Residenz gedeutet werden.
Und eine weitere lokale Besonderheit lässt sich bei Rummert assoziieren: An der mittleren Säule lehnen zwei Wanderstäbe, akribisch mit Draht umwickelt. Die archaisch anmutenden Stäbe erinnern an die Jakobspilger, die auch nach vielen Jahrhunderten die Kemptener Tradition weiter tragen.

Die Zeit mit dem Raum in Beziehung setzen und auf diese Weise eine vierte Dimension zu schaffen – dieses Prinzip hat die Künstlersozietät beim Ausstellungstitel aus der Relativitätstheorie übernommen. Sie haben ein Netzwerk aus Beziehungen geschaffen, nicht nur virtuell, sondern auch ganz real. Davon künden die Katalogbeiträge, etwa von Jürgen Meyer, der über seine ehemalige Studentin Elisabeth Bader, Jahrgang 1978, schreibt. Die Künstlerin stellte erstmals 2009 ihre Arbeit "Engele flieg" aus, die auch heute zu sehen ist. 2010 erhielt sie den Förderpreis der Dr.Rudolf-Zorn-Stiftung und war bei der jüngsten BBK-Ausstellung mit ihren "Magensteinen" vertreten, die Installation ist hier im Karton ausgestellt.

Auch der 1970 geborene Christian Hof, dem Kunstpreise in Bad Wörishofen und Irsee verliehen wurden, macht mit seinen Tastatur-Plastiken einen kleinen Sprung in die Vergangenheit.

Noch weiter, bis in die Dekade der 1980er, reichen die Drahtarbeiten von Bernd Rummert, Jahrgang 1951, zurück. Aus seiner Generation stammt auch der 1955 geborene Wolfgang Mennel. Er war 2011 in der Ausstellung "beLichtet" zu Gast in Kempten und erhielt im gleichen Jahr den Mittelschwäbischen Kunstpreis und den Kunstpreis von Bad Wörishofen. Bis auf die Fotocollage "Pixelbilder" sind seine Arbeiten heute zum ersten Mal ausgestellt. Seine "Alben" mit historischen Familienbildern setzen Erinnerungen und Fantasiereisen in Gang – und stellen die Frage, ob Geschichte durch das Medium der Fotografie überhaupt real abgebildet werden kann. So hat er in seine dreiteilige Serie vom Auslaufen der "Bremen" minimale Änderungen eingeschleust.

Die Schau lädt nicht nur zum genauen Betrachten der Werke ein, sondern auch zum intensiven Erleben des Hofgartens als "Zeitraum" – ich wünsche Ihnen, meine Damen und Herren, viel Freude, wenn Sie in der Kemptener "raumzeit" auf Entdeckungsreise gehen!